Am 7. Dezember 2017 zeigen in Wien die TeilnehmerInnen der „Choreographiewerkstatt Urbane Rituale… im Raum Flamenco“ gemeinsam mit anderen eingeladenen KünstlerInnen ihre Zugänge zu Urbanen Ritualen. Ich habe sie über ihre Projekte und ihre Erlebnisse während der kreativen Entwicklungszeit befragt.
Ein Projekt von Marco de Ana (Verein Nomada), unterstützt von der Peña Flamenca La Granaina.
Yulia Kuleshova zeigt „La Sombra“
Schatten, Schattenseiten der Stadt, die man nicht gerne hat und nicht gerne sehen will… die aber doch da sind.
Was sind Urbane Rituale für dich?
Am Ende ist es eine große Herausforderung. Für mich war es schwierig, überhaupt mal das Konzept meines Stücks zu entwickeln. Die richtigen Symbole und die passende tänzerische Sprache zu finden, um das ausdrücken zu können, was ich zu diesem Thema im Kopf habe. Aber gleichzeitig ist eine sehr interessante Arbeit, ganz was anderes als das, was ich im Flamenco bisher gemacht habe.
Was hat „La Sombra“ mit einem „Urbanen Ritual“ zu tun?
In meinem Stuck geht es um Taschendiebstahl. Das ist „urban“, denn solche sachen passieren vermehrt in der Stadt und nicht im kleinen Dorf, wo alle Leute einander kennen. Es ist auch so eine Art „Nebenffekt“ des Lebens in der Stadt, wo sehr viele Leute aufeinandertreffen und viel Chaos herrscht, viel Stress, das Leben ist schnell, man muss viele Dinge gleichzeitig machen und kann nicht wirklich wahrnehmen, was rund herum passiert. Und das alles nutzt der Schatten aus. Es ist ein Ritual, das Zeitraum, Ort und Struktur hat, formalisierte Handlungen und Symbole. Es braucht Vorbereitung und bringt am Ende eine Art Befriedigung, wenn der Diebstahl gelingt. Und der Dieb wiederholt das Ritual immer wieder.
Warum bist du bei diesem Projekt dabei, was ist dir wichtig?
Ich will Neues probieren in Rahmen des Flamencos, über die Grenze meines Verständnis für das, was Flamenco für mich ist, hinausgehen, neue Formen und Konzepte für mich entwickeln.
Helena Guggenbichler und Brigitte Heidinger zeigen „Kaffeehaus“
Kaffeehaus ist für uns voll ritualisierter Abläufe – und zwar sowohl für den Gast als auch für das Personal. Wir haben uns drei Tageszeiten herausgesucht um auch die verschiedenen Beziehungen zwischen Gästen und dem Personal darzustellen. Wir beginnen mit einer strengem Farrucarythmus am Morgen und enden mit einer kubanischen Guajira bei der Sperrstunde.
Brigitte: Mein 1. Gedanke dazu? „Was zum Teufel sind urbane Rituale ????“
Wie habt ihr den kreativen Prozess erlebt?
Brigitte: Für mich war es anfangs sehr frustrierend, weil Marco alles, was wir einstudiert hatten wieder auseinander genommen hat 😬 Derzeit nimmt es aber die Form an, mit der wir und auch Marco glücklich sind 😊
Helena: Das Thema haben wir zwar schnell gefunden, die Umsetzung hat aber dann über ein Jahr in Anspruch genommen. Wir haben uns sehr viel Anregungen aus erlebten Situationen, Musikstücken und der bildenden Kunst geholt und dann einzelne Szenen entworfen, die zur Choreographie wurden.
Was ist euch dabei wichtig?
Helena: Mir ist die Werkschau wichtig weil erst die gemeinsame Aufführung der individuellen Rituale wirklich eine Choreographie des urbanen Raumes ergibt – inklusive der Besucher, denn eine Stadt ist auch immer voller Menschen die eine völlig andere Wahrnehmung von einer Handlung haben. Ich möchte dieses Ergbenis der Choreographie-Werkstatt erleben.
Brigitte: Ich bin dabei, weil es ein spannendes Projekt ist, Flamenco beinhaltet und man erst am Schluss weiß, was rauskommt! Ich bin Helena sehr dankbar, dass sie mich ins Boot geholt hat.
Julia Gruseck zeigt „tief einatmen“
Die innere Unruhe, die im Rauchen einer Zigarette aufgelöst wird.
Was sind Urbane Rituale für dich?
Für mich sind Urbane Rituale routinierte Handlungsabläufe und damit verbundene Emotionen, die viele Personen in ihrem Alltag zumeist unbewusst durchführen.
Was hat „tief einatmen“ mit „urbanen Ritual“ zu tun?
Rauchen als ein Mittel, um sich zu entspannen und möglicherweise kurz den Raum zu verlassen. Eine Zigarettenpause ist eines der tragenden Rituale, die sowohl am Arbeitsplatz als auch im Café sozial akzeptiert werden. Zumeist ist es ein Ritual, das vom Unbewussten gesteuert wird. Viele Menschen brauchen es, um sich in eine entspannte emotionale Lage zu versetzen. Aber das Rauchen kann auch in verschiedenen Situationen zeremoniellen Charakter bekommen, man denke nur an das gemeinsame Rauchen, oder das Teilen einer Zigarette.
Wie war dein kreativer Prozess, wie hast du das Stück entwickelt?
Marco hatte einige interessante Ideen, ich lasse mich seitdem in der Ausführung des Stücks eher intuitiv leiten. Für mich war die Auswahl und das zusammenschneiden der Töne und der Musik entscheidend, dass ich choreografisch etwas erarbeiten kann. Ich habe das Stück schon zu Ende choreografiert und will es jetzt nocheinmal auflösen und die Bewegungen länger und repetitiver gestalten. Ich würde es bewegungsmässig gerne noch reduzieren und klarer machen.
Claudia Rupp und Ulrike Schreiner zeigen „Baustellensommer“
Alle Jahre wieder feiert die Stadt das Ritual der Erneuerung, verbunden mit zahlreichen Baustellen, Umleitungen, Fahr- und Gehbehinderungen, Lärm und Staub.
Dieses Thema wollen wir tänzerisch umsetzen. Dabei verbinden wir swingenden Jazz von Wynton Marsalis mit dem ernsten Gesang der Martinete und Baustellengeräuschen, auf die wir ebenfalls Flamenco-Beats legen. Erzählt werden damit die alltäglichen Begebenheiten zur Stoßzeit in der Stadt und die harte Arbeit der Bauarbeiter. Ein Unfall passiert …
Organisation: Peña Flamenca La Granaina
Urbane Rituale ist das Thema zu einer einjährigen interdisziplinären Choreografiewerkstatt unter der Leitung des Tänzers und Choreografen Marco de Ana.
Warum organisiert die Peña dieses Projekt gemeinsam mit Marco de Ana?
Wir wollen unseren Mitgliedern mit diesem Choreographieprojekt die Möglichkeit geben, unter der Leitung eines erfahrenen Künstlers wie Marco de Ana eine eigene Performance zu einem Thema zu erarbeiten und auch aus dem ihnen bekannten Flamenco heraus in andere Richtungen zu experimentieren und Schnittstellen zu schaffen.
Wie sieht die Arbeit der Peña aus?
Die Peña kümmert sich um die Organisation und Koordination der Choreographie-Werkstatt: Wir koordinieren den Zeitplan und die Treffen untereinander, beschaffen Aufführungs- und Probenräume und Termine, klären offene Fragen, helfen bei Materialsuche, kümmern uns um die Kommunikation des Projektes und organisieren die Werkschau als Abschluss.
Was sind die nächsten Pläne der Peña?
Im Dezember findet noch die traditionelle Weihnachtsfeier unserer Mitglieder statt, die dank unserer Guitarristen ein musikalisches Highlight geworden ist. 2018 werden wir den erfolgreichen Flamenco-Zyklus im Neruda fortsetzen und vermehrt Flamencokünstlerinnen von anderen Städten in Österreich und den Nachbarländern nach Wien einladen um den Flamenco-Austausch in der Donauregion zu fördern. Und natürlich wird es auch wieder eine Open Stage geben auf der unsere Mitglieder ihr Können zeigen und die mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht hat.