Das tanzhaus nrw hat Teile meiner Reise zum diesjährigen Flamencofestival finanziert (Unterkunft&Konzertkarten). Heute kam ich in den Genuss, Eduardo Guerrero zu sehen. Genuss? Das weiß ich noch nicht sicher… Außerdem ist heute so viel passiert. Also der Reihe nach:
Workshop #flamencoempiricomethod mit Juan Carlos Lerida
Der berühmte zweite Tag ist so wie der erste, nur mit mehr Müdigkeit in den Knochen. Und mein Herz-Fächer ist natürlich kaputt, hach. Wir haben an der Fächer-Elektronico-Guajíra weitergetanzt und nochmal eine weitere, neue Sequenz gelernt. Sie wechselt zwischen Guajira (geklatscht im „clave cubano“), Tangos, Tanguillo und Seguiriya. Ist schnell und vielschrittig. Uff, schwitz. Und dann haben wir mit dem Fächer-Guajira-Material improvisiert.
Ich bin sehr gespannt, wie der Kurs weitergehen wird. Morgen ist der berühmte dritte Tag, der ist erfahrungsgemäß für mich meistens am schwersten. Denn bisher haben Zweifel hier am meisten Platz bekommen. Mal sehen…
Ich habe außerdem wieder ein großartiges Detail gelernt: Wenn sich der Oberschenkel(knochen) bei den Schritten bewegen darf (was bei vielen traditionellen Bewegungen ja nicht in alle Richtungen gewünscht ist im Flamenco, weil die Form, huch, die Form!, dann verloren geht) klappen manche Schritte dann doch. War eine sehr interessante und hilfreiche Erfahrung!
Workshop Future Folklore mit Anna Natt
Echt, nur zwei mal 1,5 Stunden für einen Workshop mit Anna Natt sind einfacht zu wenig. Sie bringt neue Welten mit und lässt sie uns erkunden. A propos Oberschenkelknochen – so komme ich gut zum Psoas-Muskel und der Übung, die wir heute anfänglich bei Anna Natt gemacht haben. Denn es ging bei ihr entfernt um Zapateados. Schritte am Boden, die Verbindung von Boden und Knochen. Und eigentlich um Resonanz. Sitzend (die Sitzknochen gut spürend) haben wir als Paar gegenseitig unsere Beine gehoben und auf den Boden gestellt oder fallen gelassen. Und dann die Resonanz in den Knochen gespürt oder wohin auch immer sie sich ausgebreitet hat.
Was ich sehr mag, was mich gleich wieder motiviert: Anna Natt bringt viele andere Sichtweisen mit. Sie beschreibt manchmal die Klänge, die man erzeugt als Objekte…. In diesem Zusammenhang hat Anna Natt einen Vortrag von George Didi-Hubermann empfohlen. Ich verlinke ihn mal – anschauen werde ich ihn an einem anderen Abend:
Heute haben wir dann in der restlichen Zeit die 3. Sevillanas-Strophe abgekürzt, verkürzt und nach ein paar traditionellen Aufwärmrunden gleich ohne Musik, ohne Handkreise, ohne Armbewegung, ohne Schrittfolgen und ganz nah getanzt. Das war aufschlussreich wie gestern. Auch wenn der Weglass-Prozess an sich gefehlt hat und es daher zu schnell war. Aber die Zeit, die Zeit!
Flamencointervention 1 – Offene Probe: Erste Annäherung an die 12 – Juan Carlos Lérdia
Wie gestern schon kurz beschrieben: Juan Carlos Lerida ist hier gemeinsam mit Vera Köppern auf Forschungsresidenz hier im tanzhaus nrw für sein neues Stück über die „12“. Sie dokumentieren alles im Blog von Juan Carlos Lérida. Wer ihre Aufzeichnungen liest wird erkennen: So eine Forschung und Findung ist nicht immer ganz linear und manchmal einfach unzusammenhängend (von außen betrachtet).
Heute gab es eine offene Probe. Wir hatten Gelegenheit, insgesamt zwei Stunden daran teilzuhaben. Zwei Stunden, in denen Juan Carlos Lérida improvisiert hat. Er hat gekocht, getanzt und dann, außerhalb des Küchensettings in einem Tanzstudio, mit Susanne Zellinger kommuniziert. Sie mit Worten – er mit Bewegungen. Sie saß auf einem Sessel und erzählte, er tanzte, reagierte und antwortete. Es war ein angenehm ruhiges Gespräch zwischen den beiden, in dem sie so wichtige Dinge ansprach wie etwa die Lüge: „Wusstest du, dass auf dem Bild der 12 Apostel nicht nur 12 Männer zu sehen sind? Da ist eine Frau mit dabei. Warum haben wir also alle das Bild im Kopf, dass die 12 Apostel 12 Männer sind?“ fragte sie ihn.
Flamencointervention 2 – Performance von Fernando LR Parra und Film „Civil Servants of the Art?“
Nachdem ich die beiden Stunden am Nachmittag bei der offenen Probe war ging ich ohne Pause zum nächsten Programmpunkt. Und heute gab es viele davon. Fernando LR Parra zeigte eine Performance zum Thema „Tablaos in Madrid“. In einem rosa Baumwoll-Overall (und vor dieser riesigen Fotowand voller Eduardo Guerrero-Bilder… ich finde das ja ein bißchen viel manchmal… und sehr dominant… aber gut, dazu komme ich wahrscheinlich ohnehin später noch). Wo war ich? Ja, im rosa Baumwoll-Overall tanzte Fernando LR Parra „a spontaneous patá de Bulerías at the end of a flamenco show“. Immer und immer wieder. Für jeden Tag der Woche. Und für jedes Jahr von Mitte der 1950 Jahre bis heute. Unterbrochen durch Aufzählungen, wann welches Tablao wann eröffnete. Seine monotone Widerholung der Schritte und sein ironisch-wirkendes „I am dancing a spontanous patá de Bulería at the end of a flamenco show“ haben so punktgenau gezeigt, dass erstens den Zuschauern seit Beginn an hier etwas vorgegaukelt wird (immer die gleiche Spontaneität mit den gleichen Schritten, tagein, tagaus, jedes Jahr) und zweitens, wann Tablaos eröffnet wurden, wann nicht, dass manche Gay-Clubs geworden sind etc.
Die Performance war soetwas wie eine Einführung in seinen Dokumentarfilm über die Tablao/Flamenco-Szene von Madrid. In Interviews arbeitete er sich an der Frage nach dem Tanzleben im Tablao ab. Einige Fragen/Antworten fand ich sehr gut und ganz interessant. Auch fand ich spannend, wie einige der interviewten KünstlerInnen über das Leben im Tablao reden, über die Krise, die doch einiges im Flamenco verändert hat (es gibt kaum mehr große Kompanien, die TänzerInnen müssen also woanders ihr Geld verdienen und gehen wieder ins Tablao arbeiten, wo sie dem Nachwuchs aber die Arbeitsplätze wegnehmen etc).
Witzig fand ich eine spezielle Szene: Man sieht Mario Maya und El Güito in einem Tablao tanzen. Auf Tuchfühlung. So haben wir zeitweise heute bei Anna Natt getanzt (Sevillanas auf Tuchfühlung). Das fand ich eine schöne Querverbindung. Und dann fiel mir auf: tanzen Männer im Flamenco heute noch so eng beieinander?
Mich hat diese Szene an Les Twins erinnert, was mich natürlich sehr amüsierte :-)
Mir war der Film allerdings viel zu lange. Zu repetitiv. Was ich an der Performance zwar toll fand (sie hatte auch eine gute Länge), aber am Film nicht.
Konzert: Eduardo Guerrero mit „Guerrero“
Und dann. Ich habe viel über Eduardo Guerrero gelesen und mir einiges auf YouTube angesehen. Susanne Zellinger schreibt und erzählt immer ganz begeistert von ihm. Ein Interview mit den beiden gibt es hier auf flamenco-divino.at zu lesen.
Also, ich war gespannt.
Im Stück „Guerrero“ geht es um einen Geschlechterkampf, wie im Programm steht. Der Tänzer und drei Sängerinnen, die Mutter, Geliebte oder Freundin. „Guerrero“ heißt Krieger, so heißt aber auch der Tänzer und Choreograph.
Es ist ein Krieg der Gefühle, aber eigentlich ist es ein Wortspiel. Die Leute glauben, dass es der Krieg ist, den ich gegen die Frauen führe, ein Kampf oder eine Konfrontation. Aber darum geht es nicht. Ich bin „El Guerrero“, das ist mein Name. Es geht um mich und die Frauen, aber es ist ein Dialog, es geht um Gefühle.
Um den Mann, der mit den Frauen spielt, es ist wie ein Spiel, es geht um Vergnügen und um Empfindungen. In der Nana, in der Saeta oder der Seguiriya geht es um mein Leben mit den Frauen, ich habe viele Freundinnen, viel mehr als männliche Freunde. (Aus dem Interview von das Susanne Zellinger mit Eduardo Guerrero, Flamenco Divino)
Ich bin nicht einer eindeutigen Meinung. Mir gefällt vieles am Tänzer Eduardo Guerrero und wenig am Stück an sich – einige Begegnungen zwischen Eduardo Guerrero und den Sängerinnen (Anabel Rivera, Sandra Zarzana, Samara) fand ich unglaublich platt (die Nabelschnur!) und plakativ. Ich verstand auch den Geschlechterkampf nicht, es gab keinen Kampf, fand ich. Es gab ein flegelhaftes Verhalten des Mannes den Frauen gegenüber und es gab sanfte, schöne und innige Momente. Also, mit den Szenen bin ich nicht ganz einverstanden. Macht ja auch nichts. Da gibt es auch noch das „Phänomen Guerrero“, das mich sehr interessiert.
Und ja! Faszinierend finde ich ihn tatsächlich. Und auch die Jubelrufe aus dem Publikum faszinierten mich. Das ist ein schönes Spektakel von Geben und Nehmen. Guerrero gibt große Gesten, große Bewegungen, rhythmisch trickreiche Schritte und Geschwindigkeit. Und er zeigt viel von seinem Körper, der gr0ß, muskulös und ausgewogen ist. Also, ja! Mir hat es gefallen, im zuzusehen. Seine Energie kam an diesem Abend nicht ganz so wuchtig bei mir an – bei Farruquito hat das 2016 ja auch zwei Aufführungen gedauert… Morgen schaue ich mir „Guerrero“ also nochmal an. Und morgen beginnt auch mein Kurs bei ihm. Darauf bin ich sehr neugierig!
Was ich witzig fand: Eduardo Guerrero hat mich in manchen Aspekten sehr an Joaquin Cortes erinnert. Ich vergleiche die beiden nicht, das macht keinen Sinn – Ähnlichkeiten fand ich aber doch, nämlich: enge Hose, Mantel darüber, dann irgendwann der nackte Oberkörper, lange offene Haare. Und auch einige Bewegungssequenzen… okok, Guerrero ist tänzerisch von einem anderen Planeten, aber das stelle ich ohnehin nicht in Frage sondern bewundere das einfach nur.
Trotzdem ging mir Joaquin Cortes nicht aus dem Kopf.
Auch deshalb nicht, weil sich um ihn auch (?) so ein Startum entwickelte, wie es bei Eduardo Guerrero vielleicht auch sein wird (schon ist?).
Die Meinungen und Bewunderungen bzw Ablehnungen waren heute Abend alle irgendwie extrem. Extrem bewundernd, extrem wütend, extremes JA und extremes NEIN. Das finde ich ebenfalls sehr spannend. Auch im Hinblick (sic!) auf die Ausstellung, die hier im Tanzhaus zu sehen ist!
Ausstellung: Eduardo Guerrero auf Fotos von Fidel Meneses Tienda
An vielen Wänden hängen hier sehr viele Fotos des Fotografen Fidel Meneses Tienda – und alle zeigen sie: Eduardo Guerrero. Im Tanz oder der Erschöpfung. Manche Fotos sind riesig groß. Und jetzt, da viele den Tänzer live erlebt haben – wie wirken die Fotos nun? Wie wirken die Bilder auf diejenigen, die Eduardo Guerrero bewundern und ihn vielleicht sogar anhimmeln? Wie wirken sie auf jene, die vom Stück heute abgestoßen wurden, wütend waren, gelangweilt sogar?
Aber jetzt…
Gute Nacht und bis morgen. Da gibt es was von Leonor Leal zu sehen, Anja Abels zeigt „Die Schrägevogel“, die Kurse mischen sich neu und am Abend wieder Guerrero mit Publikumsgespräch. Wieder so ein voller Tag. Dazwischen schau´ich noch zum Flamencomarkt. Wann esse ich? Wann schlafe ich? Ich weiß es nicht.