Für die aktuelle Ausgabe der ¡anda! (Nr. 139) habe ich die Flamencotänzerin Niurca Márquez portraitiert. Niurca war auch schon zu Workshops in Wien, das war 2010 – könnt ihr euch erinnern? Hier ist mein Text:
Niurca Márquez – Flamencokünstlerin
Sie nennt sich selbst „Mestiza“ und meint damit ein Hybrid-Wesen. Und da beginnt es schon – Niurca Márquez ist schwer zu greifen, weil man sie nicht einordnen kann. „Mestizo“, ist das nicht ein rassistischer Begriff? Mischling – was meint sie damit? Im Karibischen Sprachraum wird der Begriff auch im kulturellen Sinne verwendet. Und das kommt ihr schon näher. Warum wir überhaupt in den karibischen Sprachraum äugen? Niurca Márquez ist Kubanerin, die aufgrund der Migration ihrer Familie in Miami (USA) aufgewachsen ist. Sie trägt damit schon mindestens zwei unterschiedliche Kulturen in sich. Mindestens, denn „Kubanerin zu sein bedeutet ja ohnehin, eine Mischung aus vielem zu sein“, wie sie erzählt. Und so ist „Mestiza“ dann auch zu verstehen: als Hybrid aus vielen sozio-kulturellen Einflüssen und Widersprüchen.
Sie wurde in einer der Kubanischen Religionen, der Santería, großgezogen, die tief in der westafrikanischen Religion Yoruba verwurzelt ist. Sie studierte Afro-Kubanische Tänze und Rituale, Argentinischen Tango, Ethnographie, Choreographie, Zeitgenössischen Tanz, ist ausgebildete Feldenkrais-Trainierin und Flamencotänzerin. Vielleicht passt die Reihenfolge hier nicht. Flamenco steht heute sicherlich nicht an letzter Stelle. „Der Flamenco kam schön langsam in mein Leben und machte sich breit. So breit, dass ich ihn mittlerweile als meine Basis bezeichne. Als meine Quelle“. Der Kopf flirrt jetzt schon? Wartet ab!
Die ersten Schritte
Als Niurca Márquez elf Jahre alt war, war allen klar, dass aus ihr keine Balletttänzerin mehr werden würde – „meine Oma hat mich eigentlich auch nur deshalb zum Ballett angemeldet, weil ich so grob gebaut war und sie hoffte, dass ich dadurch eine Taille bekommen würde“, erzählt sie lachend.
Das Tanzstudio, in dem sie ihren Unterricht erhielt, gehörte der Tochter von Trini Morén, einer spanischen Sängerin, die in den 1940ern berühmt war. Morén war übrigens die Frau des Flamencosängers El Niño de Utrera. Eben diese Trini Morén besuchte eines Tages das Studio ihrer Tochter und warf einen Blick auf das Mädchen Niurca Márquez. „Hol für sie einen Lehrer aus dem Flamenco-Ballett in dein Studio!“ soll Morén zu ihrer Tochter gesagt haben, und diese tat es. Der erste Flamencolehrer von Niurca Márquez war kein geringerer als Pedro Azorín. Erst später wurde ihr bewusst, wer das war: Pedro Azorín ist der Großmeister der Aragonesischen Jota. Aber nicht nur das, er veränderte die choreographische Herangehensweise für Flamenco-Kompanien und so wichtige TänzerInnen wie Carmen Amaya, Merche Esmeralda, Pilar López oder das Ballet Nacional de España wollten von ihm unterrichtet werden. Er starb 2001 in Madrid. Mit Pepita Ibañez, einer Tänzerin des Clasico Español und Flamenco, trainierte Márquez anschließend über sechs Jahre lang klassische und regionale Tänze aus Spanien. Außerdem kam sie damals, kurz vor dem College, erstmals mit der Bata de Cola in Berührung, wie sie erzählt: „Ich tanzte meine erste Alegría mit Bata de Cola. Aber das war eine „bata de tubo“, sie war so geschnitten, dass sie sich wie von selbst bewegt hat“. Niurca Márquez und Bata de Cola – das ist eine eigene Geschichte, die wir hier nicht nochmal aufrollen werden, denn sie ist in „Feldenkrais und Flamenco“ ausführlich beschrieben (¡anda! Nr.123).
Tanzen und Forschen
Nach dem College übersiedelte Márquez für ein Jahr an die Universität New Mexico nach Albuquerque, weil diese als einzige in den USA auch Flamenco als Teil der Tanzausbildung anbot. Sie machte ihren Abschluss in spanischer Literatur und Tanz mit Schwerpunkt Tanzgeschichte. Später gesellten sich noch andere Uni-Abschlüsse dazu. Sie hat einen Master in Cultural Studies zum Thema der Schnittstellen von Tanz und religiöser Praxis in Kuba, einen Master in Choreographie und absolvierte das vierjährige Trainingsprogramm zum Feldenkrais-Practitioner. Ihre Kunst und ihre Forschungen gehen immer Hand-in-Hand. Das, was sie macht, nennt sich „research-creation“, und diesen englischen Begriff lassen wir mal hier gelten.
Während der ersten Bush Jr.-Präsidentschaft bekam ihr Forscherinnendrang einen Dämpfer – sie durfte nichtmehr nach Kuba reisen, um dort weiter zu forschen. „Ich wusste daraufhin eine Zeit lang nicht, was ich mit dem Tanz anfangen sollte“, erzählt Niurca Márquez. „Flamenco war das einzige, das irgendwie noch Sinn machte. Mir war aber immer klar, dass er nur ein Teil von mir war und nicht alles. Ich frage mich immer wieder, wie es dann dazu kommen konnte, dass er von dem einen Teil zur Basis, zu meiner Quelle, werden konnte? Vielleicht liegt es daran, dass ich beim Flamenco anders als bei vielen anderen Tanzformen, immer eine direkte Verbindung zu dem spüre, was mich gerade beschäftigt, was ich entwickeln will, woran ich gerade arbeite“.
Flamenco: eine Melange
Für Niurca Márquez ist der Flamenco eine Melange, die es letztendlich unmöglich macht, von „pur, rein und echt“ zu sprechen. „Einfach, weil es keinen Weg gibt, etwas aus dem Flamenco wirklich sicher zu wissen“ erzählt sie.
„Flamenco findet man in diesem Zwischenraum zwischen Stamm und Individuum, zwischen dem Zusammentreffen der Gruppe und der Selbstreflexion bzw. dem individuellen Verlangen. Irgendwie ungreifbar und sehr wandlungsfähig. Ich habe für mich herausgefunden, dass der einzige Weg, die nächste, wichtige Antwort zu bekommen, ist, Fragen zu stellen und zuzuhören. Llamar y eschuchar.“
Und Niurca Márquez hat immer mehr Fragen auf Lager als Antworten. Das macht sie aus und daher ist für sie der intensive Kontakt zu anderen KünstlerInnen und ihrer Community essenziell. Im Flamenco ist das beispielsweise Belén Maya, mit der sie eine intensive Verbindung hat und immer wieder über die Rolle der Frau im Flamenco forscht. Aber auch in Miami, wo sie seit 2011 mit ihrem Mann, dem Komponisten José Luis de la Paz (er ist vielen als José Luis Rodriguez, Flamencogitarrist und Komponist aus Huelva, bekannt) wieder lebt und arbeitet, ist sie ständig am Zusammenspiel mit anderen. Ob in der Gegenwart oder Vergangenheit.
Ort, Zukunft und Vergangenheit
Ihre spirituellen Wurzeln und ihre Sicht auf das Leben bringen sie dazu, Verbindungen zu suchen. Sie bezieht in ihre Arbeit die Orte, deren Vergangenheit und deren Menschen mit ein, wenn sie etwas entwickelt. Ihr Spezialgebiet, wenn man so will, sind ortsspezifische Performances, die sie auch im Rahmen einiger Tanz-Residenzen kultivierte. „Es gibt Energien, die sich bewegen, wenn wir uns bewegen – Tanz ist letztendlich immer rituell, egal wie zeitgenössisch er sein will“, gibt sie einen kleinen Einblick in ihre spirituelle Überzeugung. Ihre aktuellste Arbeit „siempre quise ser bailaDora“, die sie gemeinsam mit der Tänzerin Damaris Ferrer, dem Designer Manolo Romalde und dem Komponisten José Luis de la Paz entwickelte, ist dafür ein gutes Beispiel. Die beiden Tänzerinnen erforschen was es bedeutet „mestiza“ und „flamenca“ zu sein, sie untersuchen die Idee von Heimat und zeigen das Stück an unterschiedlichen Orten. Jeder Ort trägt dabei durch seine eigene Geschichte zum Gesamtstück bei.
Zwei große Umzüge
Damaris Ferrer war eine jener KünstlerInnen, die Niurca Márquez und ihren Mann José Luis de la Paz dabei unterstützten, wieder in Miami Fuß fassen zu können, als die beiden 2011 nach vier Jahren ihre Zelte in Sevilla komplett abbrachen und mit dem Schiff den Ozean überquerten. „Die Entscheidung, vier Jahre zuvor von Miami nach Sevilla zu übersiedeln war für mich leicht. Ich verliebte mich, wir heirateten ich zog zu José Luis nach Sevilla. Danach gemeinsam Sevilla wieder hinter uns zu lassen, fiel uns schwer“, erzählt Niurca Márquez über diesen Schritt. „Wir mussten etwas tun, denn wir hatten in Sevilla zwar Möglichkeiten, unsere eigenen kleinen, künstlerischen Projekte zu entwickeln – zum Überleben reichte das aber bei weitem nicht aus“.
Von Miami nach Sevilla…
Die Zeit in Sevilla war aus vielerlei Hinsicht ein wichtiger Meilenstein für Márquez. Unter anderem deshalb, weil sie dort überhaupt erst ihren Stil finden konnte. Darüber erzählt sie folgendes: „Als wir nach Sevilla übersiedelten war für mich klar, dass ich nicht weiter tanzen würde. In Miami verdiente ich den Hauptteil meines Geldes damit, in der Produktion von Flamencostücken zu arbeiten, ich war zwar auch Flamencotänzerin und forschte – aber alles war damals unklarer als es heute ist. Die Produktionstätigkeit führte ich auch in Sevilla eine Zeit lang fort. Meinen Tanz hatte ich dabei aufgegeben. Dass das nicht lange gut gehen würde, erkannte Belén Maya sofort und sie riet mir dringend, wieder zu tanzen. Letztendlich fand ich dadurch meine eigene Tanz-Stimme und daraus entstanden einige Solos. Eines davon, 2XDisplaced, zeigte ich beim ersten Festival „Flamenco Empírico“ 2009 in Barcelona“. Flamenco Empírico war eine von Juan Carlos Lérida kuratierte Festivalreihe für zeitgenössischen und experimentellen Flamenco, bei der KünstlerInnen aus der ganzen Welt ihre Flamencosolos zeigen konnten und in Workshops neue Zugänge zum Flamenco erarbeiteten (über das Festival steht z.B. in der ¡anda! Nr.83 ein ausführlicher Bericht).
„Die Erfahrungen während des Festivals veränderten mich für immer“, beschreibt Niurca Márquez.
„Größtenteils lag das daran, dass ich erleben konnte, was „AusländerInnen“ wie ich mit dem Flamenco machen. Mein eigenes Solo dort zeigen zu können und dafür Anerkennung von meinen LehrerInnen wie Belén Maya und Yolanda Heredia zu bekommen, veränderte tatsächlich meine Perspektive. Plötzlich wurde möglich, was ich nicht für möglich hielt.“
… von Sevilla zurück nach Miami
Als gefestigtere Flamencokünstlerin kam sie 2011 gemeinsam mit José Luis de la Paz zurück nach Miami und war zunächst schockiert. Miami war nicht mehr das, was es früher war. Sie war nicht mehr die, die sie früher war. Und so begannen die beiden beständig und unterstützt durch viele WeggefährtInnen in Miami, gemeinsame Räume und Möglichkeiten für ihre Kunst zu schaffen – sie gründeten das „Nu Flamenco Kollaborativ“. Für die beiden war anfänglich kein Platz, den haben sie sich in den letzten sieben Jahren selbst erschaffen. Sie luden Belén Maya und Juan Carlos Lérida ein, um durch Workshops und Auftritte (Maya zeigte Romnia, Lérida Bailografía und ToCaBa) ein spezifisches Publikum zu interessieren. „Miami ist für KünstlerInnen kein leichtes Pflaster. Es ist wie ein ständiges Wechseln zwischen Ebbe und Flut. Kaum dass man das Gefühl hat, Wurzeln schlagen zu können, ändert sich alles gänzlich. Aber hier ist es wie überall: es gibt für alles ein Publikum, für jede Art von Flamenco. Also auch für unseren“. Derzeit verarbeitet Niurca Márquez die Eindrücke ihrer Kuba-Forschungsreisen, die sie nach 20 Jahren wieder antreten konnte. Sie arbeitet im Rahmen einer Residenz in Little Havanna, einem Stadtviertel in Miami, zum Thema Dekolonisierung und Körper von „mestizas“ (also Hybriden). Und Forschen heißt bei ihr auch immer Antworten in der Bewegung finden. Das daraus resultierende Stück wird im Herbst 2018 in Miami gezeigt.
Mehr über Niurca Márquez : https://www.niurcamarquez.com
Da sie immer eng mit José Luis de la Paz zusammenarbeitet, findet man hier weitere Infos: http://www.joseluisdelapaz.com