Flamenco Rosanna Terracciano_Foto Raynard Li

Rosanna Terracciano im Portrait – Flamencokünstlerin aus Kanada

Ich habe für das Flamencomagazin ¡anda! (Nr. 135) die Künstlerin Rosanna Terracciano portraitiert. Ich kenne Rosanna seit 2011, als wir uns beim Flamencofestival Flamenco Empírico (kuratiert von Juan Carlos Lérida) in Barcelona getroffen haben. Wir haben beide kurze Stücke gezeigt und eine Verbindung gespürt, die etwas mit unserer Herangehensweise an Flamencothemen zu tun hat. Es gab so viele verblüffende Gleichklänge und Ästhetiken, das war überwältigend. Seither sind wir in Kontakt, so gut es zwischen Kanada und Österreich eben geht. Hier ist mein Portrait und sowas wie eine Hommage, den ich bewundere sie sehr.

Rosanna Terracciano – Flamencokünstlerin aus Kanada

Auch wenn das Internet alle ein wenig näher zusammenrücken lässt – so richtig nahe sind sich Kanada und Europa im Wirklichkeit dann doch nicht. Was Rosanna Terracciano, Flamencokünstlerin aus Calgary, diesen Sommer wieder dazu veranlasst hat, eine ausgedehnte Reise durch Europa zu machen. Teil ihrer Sommertournee waren auch drei Konzertabende in drei verschiedenen Städten (London, Berlin und Wien), die sie jeweils mit anderen Künstler_innen gestaltete. Der direkte Kontakt mit anderen ist im Flamenco immer wichtig – vor allem aber auch für jene, die andere Wege mit und durch den Flamenco wählen. Denn oft bläst ein eisiger „das ist aber kein Flamenco, was du tust“-Wind in die Gesichter jener, die sich an neue Formen und Erzählweisen wagen. In London war Rosanna Terracciano mit Naomi Ingram und deren „Ugly Truth“ gemeinsam auf der Bühne, in Berlin war sie in die Workshoppräsentation eines Flamenco-Empirico-Workshops von Juan Carlos Lérida eingebunden und in Wien teilte sie sich mit Anja Abels´ „Die Schrägevogel“ und Susanne Zellingers Vortrag über zeitgenössischen Flamenco den Auftrittsort. Zurück in Kanada arbeitet sie nun weiter an einem neuen Tanzfilm und renoviert einen Raum, der ihr eigenes Studio werden soll.

„We all need to say GOODBYE/ADIOS“ und „POLKA(Dots)“

Die beiden Stücke, mit denen Rosanna durch Europa reiste, waren „We all need to say GOODBYE/ADIOS“ und „POLKA(Dots)“. Es sind sehr persönliche Stücke – und das ist vielleicht typisch für Flamenco-Künstler_innen wie Rosanna Terracciano, die sich z.B. mit Fragen der Identität, der Zugehörigkeit oder der Distanz befassen. Während „We all need to say GOODBYE/ADIOS“ eine langsame, stille Meditation in Weiß ist, knallt und quietscht „POLKA(Dots)“, es ist bunt und laut und oszilliert zwischen getupften Flamencoerlebnissen und Polkamusik. Es sind Gegensätze, die sich in Rosanna Terracciano vereinen und sich letztendlich stimmig zusammenfügen. Beide Stücke haben einen starken visuellen Fokus hinsichtlich Raumaufteilung, Perspektive oder Bildausschnitte.

 

„Ich beginne meine Stücke mit klaren visuellen Vorstellungen. Bilder sind immer schon da. Ich glaube, diese Ideen tragen in sich schon Bewegung und Musik, ich muss sie einfach nur noch finden, was manchmal ziemlich schwer und langwierig ist. Diesen Weg kann ich aber nicht abkürzen, wenn ich zu Ergebnissen kommen will, die für mich stimmig sind“ (Rosanna Terracciano)

Wie sie dabei arbeite? Sie lasse sich von vielen unterschiedlichen Künsten und KünstlerInnen inspirieren, sie beobachte gerne und liebe es, still zu sitzen. Außerdem verbringe sie lange Stunden im Studio – tanzend, hörend, schreibend, schweigend. Ein Einblick in ihr Tanz-Notizbuch gibt uns eine Idee von ihrem kreativen Prozess.

 

Flamenco als Methode, Werkzeug und Genre verwende sie, weil er für sie Möglichkeiten biete, an Bewegungsqualitäten zu kommen, die mit anderen Stilen nicht so gut erreichbar wären. Ihr gehe es dabei aber um Emotionen, die weit tiefer gehen als „Leidenschaft, Feuer und Intensität“. Sie konzentriere sich auf die Verwundbarkeit, das Sensible und die Zerbrechlichkeit – Eigenschaften, die wesentlich für die Stärke des Flamenco sind, wie ihn Rosanna Terracciano empfindet.

Woher kommt das?

Flamenco lernte sie kennen, als sie an der Universität in Calgary neben Tiefbau auch zeitgenössischen Tanz studierte. Es dauerte nicht lange, bis sich ihr Tanzfokus komplett auf den Flamenco richtete, der für ihr italienisches Temperament sehr passend war, wie sie erzählt. Ihre Eltern kommen aus Neapel und haben in Calgary ein neues Zuhause gefunden.

„In unserem Haus gab es lustiger Weise neben der italienischen Kultur auch viele spanische Einflüsse – meine Eltern hörten spanische Musik, hatten spanische Freunde und meine Mutter liebte getupfte Kleider. Das passte dann gut zu meinem neuen Tanz, dem Flamenco“ (Rosanna Terracciano)

Seit 2005 tanzt sie in Kanada in vielen Flamencoproduktionen – immer zwischen den traditionellen Bildern und ihren eigenen Vorstellungen davon oszillierend.

Wendepunkte

Ein wichtiger Wendepunkt für ihre Kunst war, als sie Juan Carlos Lérida 2011 und 2012 zum Festival Flamenco Empírico eingeladen hatte, um kurze Stücke zu zeigen und an den Workshops teilzunehmen. Dort knüpfte sie wichtige Kontakte zu anderen Flamencokünstler_innen, die sich an ähnlichen Fragen wie Rosanna abarbeiteten. So ein Netzwerk bestärkt und motiviert!

 

Aus den Stücken, die sie in Barcelona zeigte, ihrem Film „Empezar in pieces“, den sie unter Anderem in Wien 2013 beim „Festival… im Raum Flamenco“ zeigte und ihren Entdeckungen in den Workshops von Juan Carlos Lérida entstand letztendlich das Gesamtstück „We all need to say GOODBYE/ADIOS“ aus Film und Tanzperformance. 2014 erfolgte ein weiterer, wichtiger Schritt: Sie präsentierte dieses Stück bei der Bienal in Sevilla. Und der nächste führte sie 2015 nach Athen zum „Coetani Experimental Flamenco Festival“. Von dort wieder nach Kanada um etwa mit der Compañia „La Otra Orilla“ und Miriam Allard (Montréal) aufzutreten. Rosanna ist ständig in Bewegung oder in Stille. Es ist dieses Hin-und Her, das ihre Kunst so reichhaltig macht.

Neben ihren Auftritten und ihrem Leben außerhalb des Flamencos, zu dem das Arbeiten als Tiefbauingenieurin genauso zählt, wie ein Administrationsstelle in einem Opernhaus, unterrichtete sie viele Jahre in Calgary Flamencotanz.

Rosanna ist voller Fragen – ihre Antworten findet sie unterwegs

Nachdem sie aber durch eine Serie von Verletzungen selbst beinahe ganz aufhören musste zu tanzen, unterbrach sie ihre Unterrichtstätigkeit für viele Jahre – bis jetzt. Denn jetzt merke sie, dass sie wieder etwas weitergeben will.

„Mich interessiert im Moment vor allem der Gedanke, Flamenco ohne diese typische, vielleicht sogar beschränkende „pasión“, zu unterrichten. Was könnte das für den Körper und vor allem für den Geist bedeuten? Wie können wir uns mit „unserem Flamenco“ verbinden, während wir die klischeehafte „pasión“ beiseiteschieben?“ (Rosanna Terracciano)

Rosanna ist voller Fragen. Ihr Weg, Antworten zu finden, ist einfach weiter zu machen. Neue Stücke mit neuen Antworten zu finden. Als Lehrerin ist es für sie vor allem wichtig, ihren SchülerInnen Wege zu zeigen, ihren eigenen Flamenco zu finden und diesen auszudrücken. Ihren Unterricht wird sie in einem Raum geben, den sie derzeit renoviert.

„Ich bin oft damit konfrontiert, für mich und meine Stücke einen Platz zu finden – sowohl in der globalen Flamencocommunity als auch in meiner Heimatstadt Calgary. Ich glaube, einen echten, physischen Raum für mich zu haben, hilft mir dabei“. (Rosanna Terracciano)

Wer Rosanna Terraccianos reichhaltigen Flamenco kennenlernen will, kann das – Internet sei dank! – auch tun, ohne in Calgary, Kanada, zu leben. Auf www.rosannaflamenco.com präsentiert sie ihre Filme, Tanzstücke, Texte, Fotoserien… Wer die Möglichkeit hat, sie live zu erleben, sollte sich das besser nicht entgehen lassen: Ihre Auftritte sind intensiv, ihre Bühnenpräsenz ist umwerfend und ihre Geschichten strotzen vor Poesie, Kraft und Witz.